Oskar Werners Landschaft und Melodie

Im November würde der Schauspieler Oskar Werner 90 Jahre alt werden. Der Star lebte in der Gemeinde Triesen im Fürstentum Liechtenstein, da fand er auch die letzte Ruhe. Oskar Werner liebte die Landschaft im Fürstentum, aber nicht unbedingt die Menschen.

Mit den Menschen in Liechtenstein hatte er kaum Kontakt, nur mit ein paar Außenseitern wie dem Schlapp“, erzählt einer, der ihn gekannt hat. Der Vaduzer Philosoph, Schriftsteller und Journalist Manfred Schlapp (69) war einer der wenigen Liechtensteiner Freunde des exzentrischen Schauspielers. Er weiß auch, warum Oskar Werner ausgerechnet in Liechtenstein gelebt hat. Natürlich wegen der niedrigen Steuern. Einerseits. Aber: „Geld war ihm nicht wichtig.“ Warum sollte Oskar Werner, dessen Leben von seiner Kunst bestimmt war, sich nur wegen des Geldes für ein einen Wohnort entschieden haben? Schlapp kennt noch einen anderen Grund.

Notenlinien am Horizont

„In jedem von uns ist eingeboren eine Melodie, unser Schicksal“, erklärt Schlapp Oskar Werners Vorstellung einer pythagoräischen Lebensmelodie. „Man kann dem nicht entrinnen, weder Vernunft noch Erfahrung sind stark genug.“ 1951 war Werner mit dem Auto von Wien nach Zürich unterwegs. Damals eine lange und beschwerliche Reise – weite Teile der Strecke konnten noch nicht auf der Autobahn zurückgelegt werden. In Triesen machte er halt. Er ging den Hang hinauf zur Marienkapelle. Die Aussicht dort traf ihn „wie ein Blitz“. In der Bergkette mit Gauschla und Alvier erkannte er seine Lebensmelodie. Die Berge erschienen ihm als Musik. Notenlinien am Horizont und die Landschaft verschmolzen zu einer Komposition.

Die Leidenschaft für die Berge teilte Oskar Werner auch mit Hans Frommelt (68). Der Triesener Elektroingenieur und passionierte Bergsteiger kümmerte sich um Werners Haus, wenn dieser nicht in Liechtenstein war. „Oskar Werner interessierte sich für die Seele eines Bergsteigers“, sagt Frommelt.  Er verdeutlicht das mit einer Idee, die den Schauspieler faszinierte: Werner stellte sich vor, auf dem Gipfel eines Berges zu stehen. Zwei Menschengruppen klettern auf zwei unterschiedlichen Seiten hinauf. Sie wissen nichts von einander, aber Werner, der auf dem Gipfel steht, sieht beide Gruppen. Er kann vorhersagen, dass sie sich in einer Stunde auf dem Gipfel treffen werden. Auf dem Berg zu stehen wäre, wie in die Zukunft zu sehen zu sehen.

Lebensmelodie? In die Zukunft sehen? Der Schauspieler hat den Bergen offenbar schicksalshafte Bedeutung zugeschrieben. Er bestaunte sie als Betrachter. Selbst Bergtouren zu unternehmen, wäre ihm nicht in den Sinn gekommen. Wirkliche Bergerfahrungen, das war das Frommelts Metier. Vielleicht hat die Freundschaft zwischen den beiden genau darum funktioniert: Frommelt war Bergsteiger und faszinierte sich für den Schauspieler, ohne selber einer sein zu wollen. Werner war Schauspieler und faszinierte sich für den Bergsteiger, ohne selber einer sein zu wollen.

Zerschlagene Festspiele, verlegtes Grab

Oskar Werners Kontakt zu den Liechtensteinern lief nicht immer reibungslos ab. In einem Brief an Frommelt zeigt er sich 1976 enttäuscht: “Meinen Versuch, mit den Einheimischen in näheren Kontakt zu treten, besonders in Bezug mit den Liechtensteinischen Festspielen, die sich im wahrsten Sinne des Wortes zerschlagen haben, muss ich als gescheitert betrachten.” Wie kam der Künstler zu diesem vernichtenden Resümee? Er hatte lange Jahre geplant, in Liechtenstein Theaterfestspiele zu gründen. Die Umsetzung erwies sich in der damaligen Theater- und Kulturszene als schwierig. Nach einen persönlichen Zerwürfnis mit einem Vaduzer in einer wichtigen öffentlichen Position zeigte sich der Schauspieler unversöhnlich und brach seine Bemühungen ab.

Wenn schon keine Theaterfestspiele an Werner erinnern, so wurde er doch auf eigenen Wunsch hin auf dem Friedhof der Kirche St. Gallus in Triesen beerdigt. Wer das Grab heute sucht, könnte allerdings Mühe haben, es zu finden. Aus Platzgründen werden auf dem Friedhof alle Gräber nach 20 Jahren aufgelassen. Für das Grab des Prominenten ehemaligen Bewohners fand sich jedoch eine andere Lösung: 2011 wurde der Leichnam, der ursprünglich in einem Zinnsarg bestattet war, verbrannt. Die Urne wurde in einem neuen Grab in der hintersten Ecke des Friedhofs bestattet.

Ein Chevy und ein alter Affe

Unfern der Kirche, etwas weiter den Hang hinauf, steht das Gasthaus Linde. Als er Oskar Werner 1952 sein Haus in Triesen bezog, die „Teixlburg“, hatte er anfangs kein Telefon. Zum Telefonieren ging er in die Linde. Auch später war er immer wieder dort. In Schlapps Film „Ich bin empfindsamer als andere – Oskar Werner in Liechtenstein“ (1992) sind private Aufnahmen zu sehen, auf denen Werner mit der damaligen Wirtin vergnügt im Schnee herumalbert. Schlapp hat auch Oskar Werners Auto aus dessen Nachlass gekauft. Einen hellblauen Chevrolet Corvair, den der Schauspieler aus Kalifornien mitgebracht hatte. Als er viel später das Handschuhfach öffnete, machte Schlapp eine überraschende Entdeckung. Er fand neben etlichen Rosenkränzen einen kleinen, alten Plüschaffen in Hamlet-Pose. Das Tierchen hatte Oskar Werner offenbar als Glücksbringer gedient. Sein Fell war schon ganz abgegriffen, kahl an manchen Stellen. Jetzt hat er seine Platz am Rückspiegel des gepflegten Oldtimers gefunden und erinnert Manfred Schlapp an den großen Schauspieler, seinen Freund.

Erschienen am 3.9.2012 im Liechtensteiner Volksblatt. Hier als PDF

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