Montagsspaziergang / 28. März 2016

Warum das lange Gesicht? Die Netflix-Serie Bojack Horseman gibt in bisher zwei Staffeln Antwort darauf.

Gestern gab’s keinen Sonntagsspaziergang. Dafür gibt’s heute einen Montagsspaziergang. Es ist Ostermontag, wir haben frei, die Sonne scheint. Perfekt.

Den Anfang macht Musik, wie immer. Von den Garçons d’Honneur gibt es bis jetzt sechs Mixe auf Mixcloud. So alle paar Jahre kommt ein neuer dazu. Nicht die Produktivsten also. Aber das, was sie bis jetzt gemacht haben, hat es dafür in sich.

Falls man schöne Hintergrundbeschallung braucht, um gutgelaunt für Freunde zu kochen, im Park abzuhängen oder an einem Tag wie heute einen Blogbeitrag zu schreiben, ist das die perfekte Musik. Das meine ich kein bisschen zynisch. Unkomplizierte Nettigkeit kann ganz schön super sein.

Vorige Woche habe ich die These aufgestellt, dass Gehen nur durch Ziellosigkeit zum Spazierengehen wird. Das habe ich einfach mal behauptet, weil es mir richtig vorkam. Es freut mich allerdings, dass Ilija Trojanow offenbar der selben Ansicht ist. Der hält nämlich als Gastprofessor an der New York University ein Seminar mit dem schönen Titel „The Poetics and Politics of Walking“. Und weil es ein Seminar ist, gibt es auch einen Praxisteil: Einen stundenlangen Stadtspaziergang, bei dem sich die Studenten an drei Regeln halten müssen. „Kein Ziel“ ist die erste davon.

Zum Geburtstag habe ich ein Netflix-Abo bekommen, damit ich bei akuter Schlaflosigkeit wenigstens meinen Vorrat an unnötigem Wissen mit klugen Dokus erweitern kann. Das ist vielleicht nach hinten losgegangen. Statt klugen Dokus habe ich nämlich die Freuden des Bingewatchings von Serien entdeckt. Das potentielle Mittel gegen Schlaflosigkeit ist jetzt eine mögliche Ursache.

Meine größte Serienentdeckung ist Bojack Horseman. Es ist eine Serie über einen alternden, narzisstischen Serienstar aus den 90ern. Er erinnert ein wenig an Bill Cosby, das liegt vielleicht an den Pullovern, die er trägt. Das gezeichnete Universum, in dem er lebt, lässt an Fritz the Cat denken. Bojack ist halb Mensch, halb Pferd, seine Agentin ist eine Katze und sein bester Freund und liebster Feind ein debil grinsender Golden Retriver. Bunt, zynisch, voller überdrehter Einfälle und mit einer durchgehenden Handlung, die sich viel Zeit für die Figurenentwicklung lässt: Bojack Horseman ist vielleicht die beste Animationsserie, die ich in den vergangenen Jahren gesehen habe. Je nach Perspektive ist es eine moderne Fabel, eine Serie über Depression oder eine Satire auf die Unterhaltungsindustrie.

Man könnte sagen, dass Bojack Horseman eine sehr lange Version dieses alten Witzes ist, in dem ein Pferd in eine Bar kommt und der Barkeeper fragt: Warum das lange Gesicht?

Dass ich Almedin Čandić erst vor einem Jahr auf der Geburtstagsparty eines gemeinsamen Freundes zum ersten Mal getroffen habe, ist ein kleines Wunder. Wir haben uns lange genug gleichzeitig im Gravitationsfeld des Wiener Publizistikinstituts bewegt und ich habe seinen Namen bestimmt mehr als einmal gehört.

Als ich mich dann auf dieser Geburtstagsparty mit ihm unterhalten habe, dachte ich mir etwas in die Richtung von: Schade, dass ich den nicht kennengelernt habe, als wir beide noch studiert haben. Wir hätten uns gut verstanden. Almedin ist, wie ich, sozusagen ein Mitglied im Club der von Neil Young Getöteten. An diesem Abend machte er auf mich mit seiner ruhigen, nachdenklichen Art Eindruck. Er wirkte wie jemand, der eine durchaus unkonventionelle Lebenseinstellung pflegt, weil er eine gewisse innere Freiheit erlangt hat, die ihm erlaubt, manches nicht zu wichtig zu nehmen. Vielleicht kommt das vom vielen Meditieren.

Aber Schluss damit! Jemanden zu beschreiben ist zwangsläufig ungerecht. Was einen Menschen wirklich ausmacht, kann man nicht in einem ganzen Buch festhalten und schon gar nicht in ein paar Zeilen. Erst recht nicht, wenn es um jemanden geht, den man nur von einem lange zurückliegenden Partygespräch kennt. Ich will euch Leserlein ja nur auf Almedins neues Blog neugierig machen. Das beschreibe ich jetzt nicht, sondern lasse seine eigenen Worte sprechen: „Ich bin davon überzeugt, dass Sie, der Leser, bereits bemerkt haben, dass es sich bei meinen Texten eben nicht um Tatsachenberichte oder gar Meinungen handelt, sondern vor allem um eine weitere Kunstform, die ich die wahnsinnige Literatur oder wahnsinnige Philosophie oder philosophische Literatur nenne.“

Und um das Thema „Beobachtung eines Wieners in Berlin“ fortzuspinnen: Im Modeteil von derstandard.at gibt es fünf Interviews mit Kreativen aus Österreich, die in Berlin leben. Da müssen natürlich die üblichen Stereotypen der Wien-Berlin-Vergleiche aufgewärmt werden, die aber genauso natürlich nicht völlig aus der Luft gegriffen sind. Das Spannendste sind, wie so oft, die Kommentare. Ein tiefer Blick in das Selbstbild Wiens.

Die Idee einer 100prozentigen Erbschaftssteuer ist mir neu. Sie kommt mir wie die kleine Schwester des bedingungslosen Grundeinkommens vor. Beide Konzepte wirken auf den ersten Blick radikal und utopisch, bei genauerer Betrachtung aber sinnvoll und durchaus machbar. Beide Konzepte versprechen ein wenig Abhilfe gegen Kapitalakkumulation bei wenigen bei gleichzeitiger Prekarisierung breiter Massen.

Irgendwie dauern diese Spaziergänge immer länger, als ich vor habe. Jetzt ist es aber wirklich Zeit, nach Hause zu gehen. Bis zum nächsten Mal!

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