Mann, Frau und Puppe in der Echokammer: Woyzeck im Schuberttheater

Rezension gleich nach der Premiere geschrieben. Nicht den Mut gehabt, sie zu veröffentlichen. Morgen wird das Stück zum letzten Mal gespielt, möglicherweise das letzt Stück im Schuberttheater, das kein Puppentheater ist. Jetzt also doch. Und ihr in Wien: Morgen Samstag, 19:30 Uhr, Währingerstraße 46. Party machen könnt ihr nachher.


Dann steh ich auf und gehe unter Menschen und frage mich: Was soll ich tun? Ich kanns nicht fassen, sie könnes nicht lassen, nur ihre eignen Leben, immer nur sich selbst zu sehen.

Diese Zeilen aus Graue Wolken von Blumfeld kommen mir nach dem Ansehen des Stückes in den Sinn. In der Woyzek-Inszenierung von Helene Ewert lassen die Schauspieler (Christoph Hackenberg und Manuela Linshalm) ihre Rollen auf quälende Art an einander vorbei reden. Jeder Dialog entartet zum eitlen Monolog. Das klingt nach einem furchtbaren Theaterstück, ist aber hier Programm und nur insofern furchtbar, als dass es dazu beiträgt, die dem Stück innewohnenden Schrecken zu Tage zu fördern, also durchaus gelungen.

Tatäschlich hat mich als Zuseher Schaudern vor der trostlosen Welt Woyzecks ergriffen, in denen alle anderen ohne Rücksicht auf die sie umgebende Welt auf den harten, stählernen Schienen ihres Selbst die Landschaft durchschneiden. Jeder Wahnsinn ist letztendlich das Scheitern des Subjekts an der Aufgabe, die Umwelteindrücke, die in einem fort auf es herniederprasseln in eine Sinnzusammenhang zu stellen, auf dessen Basis es handeln kann. Und genau daran lässt Helene Ewert ihren Woyzek scheitern. Dies ist allerdings weniger sein eingenes Verschulden, vielmehr lässt ihm seine Umwelt keine Chance: Wie sollte er Sinn in ihr erkennen können, wenn diese eigentlich längst nicht mehr mit ihm spricht, sondern ihn nur noch als Staffage für ihre Selbstinszenierung benötigt? Nicht umsonst ist einer der erschreckendsten Momente des Stückes der, in dem die Puppe, die Maries Kind darstellt, in der Interaktion mit Woyzeck ihr dünnes elektrisches Stimmchen erhebt und ihm oder zumindest dem Zuschauer dadurch als Spiegel das Unglück seines Lebens in aller Deutlichkeit vor Augen führt. Die Puppe ist in diesem Fall tatsächlich eine ganz und gar leblose Kinderspielpuppe und keine der beseelten Puppen von Nikolaus Habjan, die man sonst im Schuberttheater zu Gesicht bekommt. Schließlich versucht Woyzek ein letztes Mal, seine Marie und somit seine Wirklichkeit in zärtlicher Umarmung bei sich zu halten, aber weiß dass dieser Versuch zum Scheitern verdammt ist. Durch das Bewusstsein der finalen Aussichtslosigkeit jeder Handlungsmöglichkeit beraubt kommt es bei Woycek zum Kollaps, er tötet Marie und entzieht sich so einer ihn ohnmächtig machenden Existenz durch die Vernichtung derselben, die gleichzeitig auch seine eigene Vernichtung bedeutet.

Würde einen zeitgenössischer Woyzeck der Tristesse seines Lebens gleichermaßen ausgeliefert sein? Leben wir nicht zum Glück in einer Welt, in der wir alle das Bewusstsein unser eigenes Schicksal zu beherrschen schon beim ersten Nuckeln an der Brust unserer Mutter mit eingesaugt haben? Wer würde sich heute noch abgeben mit einem Leben, so durch und durch trostlos wie dem Woyzecks? Würde nicht ein jeder sich sagen „Da habe ich was besseres verdient!“, den Hut nehmen und erhobenen Hauptes davon schreiten, in die Zukunft, in die Nacht, und sich nicht ein einziges Mal umdrehen nach dem verhassten alten Leben, dem zurückgelassenen alten Ich? Doch genau darin, so sagt uns diese Woyzek-Inszenierung, liegt ja das Dilemma. 360 Monate hat er noch vor sich, der Woyzeck, womit gedenkt er, sie zu füllen? Woyceck weiß um seine Wahlfreiheit, seine Tage drängen als lange Warteschlange an ihn heran. Einer nach dem anderen scheint zu rufen: „Jetzt bin ich dran, gestalte mich!“. Aber auch: „Ich bin einzigartig unter vielen. Du kannst mit mir machen, was du willst, aber wenn du deine Chance nicht nutzt, bin ich für immer verloren!“

Gerade weil ihm immer wieder zugeflüstert wird, er solle doch etwas aus seinem Leben machen, schafft es Woyceck nicht, es als etwas zu begreifen, das er seinen eigenen Wünschen gemäß formen kann. Er kann den Erwartungen, die von außen an ihn heran getragen werden, kein verlangendes, glühendes, funkelndes Ich gegenüberzustellen, das mit seiner Umwelt interagieren könnte, statt von ihr immer nur geschubst und gezerrt zu werden. Denn das würde voraussetzen, dass er zu sich selbst steht. Und zu sich selbst stehen bedeutet eben auch, sich in der Beschränktheit des eigenen Lebens einzurichten. Weil das Leben eben nicht die Aneinanderreihung von unendlichen Wahlmöglichkeiten ist. Jeder Moment ergibt sich schlüssig aus dem nächsten, jede Entscheidung die wir treffen ist ein Bauklötzchen in einem hohen Turm. Der freie Mensch, der jeden Moment tun und lassen kann, was er will, ist ja auch ein leerer Mensch. Er hat keine Geschichte und somit kein Selbst.

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