Sonntagsspaziergang / 20. März 2016

Diesen Sonntag habe ich wirklich einen Spaziergang gemacht. Spaziergang könnte man jedenfalls dazu sagen, wenn man das Zurücklegen mittellanger Strecken zu Fuß ganz allgemein Spaziergang nennt. Ich möchte aber behaupten, das Spazierengehen zeichnet sich auch durch Ziellosigkeit aus. Das Gehen wird nur dann zum Spazierengehen, wenn man um des Gehens willen geht.

Dieser Gang hatte aber sehr wohl ein Ziel: Ein Wohnzimmerkonzert nämlich. Aber auf dem halben Weg ist L. und mir eingefallen, dass wir das Altglas mitnehmen wollten. Wir sind wieder zurückgegangen. Das Gehen war also von einer gewissen  Unabsichtlichkeit bestimmt. Um uns nicht darüber zu ärgern, haben wir uns entschlossen, es als Spaziergang zu verstehen.

So beginnt also auch dieser Online-Sonntagsspaziergang mit Musik, so wie schon der erste. Man kann sich die Songs von Axel Rafael Raafberg auf seiner Website anhören und sie recht nett finden. Ich sagte, du klingst ein wenig wie Damien Rice. Er sagte, das habe ich noch nie gehört. Die Leute vergleichen mich immer mit jemand anderem, je nachdem, wo ich spiele. An zwei oder drei Stellen schien etwas von Leonard Cohen durchzuklingen, aber das liegt vielleicht an mir.

Die Aufnahmen geben die Stimmung auf diesem Wohnzimmerkonzert nicht wieder, das ist jedenfalls klar. Eine Intensität, die entsteht, wenn eine gute Handvoll Menschen gleichzeitig von Musik berührt wird und jeder weiß, dass es den anderen gerade genauso geht. Die Gänsehaut beim Hören von Raafberg kommt allerdings nicht vom Ausloten von Stimmungen und Befindlichkeiten, das man bei Männern mit Gitarre erwarte. Das kann er schon. Aber Raafberg findet auch, dass es zu wenig Politik in der Musik gibt. Gerade die Lieder, die er politische Songs nennt, verhindern, dass der gesamte Auftritt so mit Wohlgefälligkeit gesättigt ist, dass er schon nicht mehr gefällt.

Für alle, die das verpasst haben: Als kleinen Trostpreis hat Raafberg angekündigt, die Aufnahmen dieses Wohnzimmerkonzerts und der zwei oder drei davor irgendwann ab Mitte dieser Woche auf seine Website zu stellen.

Ich fand ja schon immer, dass die 1960er und 1970er-Jahre das fortschrittlichste Jahrzehnt waren. In der Kunst, in der Musik, im Sozialen. Im Vergleich dazu wirkt vieles, was danach passiert ist, recht schal und mutlos. Vielleicht ist das die romantische Verklärung von einem, der geboren wurde, als diese Jahrzehnte nur noch als Hintergrundstrahlung im soziokulturellen Kosmos existierten. Aber zumindest orf.at-Kulturchef @Simon_Hadler sieht das ähnlich und lässt das am Ende eines Textes über die 70er-Ausstellung auf der Schallerburg auch deutlich werden.

Das ist mir so sympathisch, dass ich gleich im Twitter-Feed des Mannes gestöbert habe. Und was habe ich gefunden? Einen Artikel über Wien in der Washington Post. Jason Wilson beschreibt darin recht detailliert, warum Wien nicht nur am Papier sondern auch im Alltag eine lebenswerte Stadt ist und warum er trotzdem lieber in weniger gemütlichen Städten lebt. Da E. ja meint, mein Sonntagsspaziergang seinen Beobachtungen eines Wieners in Berlin, muss ich jetzt hinzufügen: Was Wilson da schreibt, erklärt ziemlich gut, warum ich von Wien nach Berlin gezogen bin.

Und außerdem wäre da noch dieses Interview mit dem österreichischen Grünen-Aussteiger Klaus Werner Lobo, das zwar sehr vice ist, aber all der Enfant-terrible-Grimm von Lobo ist eben auch ein wenig weise.

Irgendwann, wenn ich zu viel Zeit habe, mache ich vielleicht den kostenlosen Online-Kurs zur Moderne. Also wahrscheinlich nie. Wahrscheinlich gehe ich bei Freizeit und akutem Interesse an Kunst lieber in eine Ausstellung.

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