Neue Mauern

Gipsy_Portrait
Ein Rom mit Kind in Plowdiw, Bulgarien. Foto: Ferran Jordà / Flickr

Antisemitismus fällt uns auf, aber Antiziganismus? Das Foto der kleinen Marie und des Roma-Pärchens, das sich als ihre Eltern ausgab, ging im Oktober europaweit durch die Nachrichten. Ein blondes Mädchen in einer Roma-Familie, die griechischen Behörden hatten Verdacht geschöpft. Dass Roma Kinder stehlen, sei kein Einzelfall, so die implizite Verdächtigung, die das breite Medieninteresse erklärbar macht. Die irischen Behörden nahmen vorsichtshalber Roma-Eltern zwei blonde Kinder weg. Im Nachhinein stellte sich heraus: Ihren echten Eltern. Mit der Berichterstattung wurde ein uraltes Klischee reproduziert. Manche Großmutter hat ihren Enkeln Angst eingejagt mit Geschichten von Roma-Frauen, die weite Röcke tragen, um Kinder darunter zu verstecken und zu entführen.

Im Unterschied zu Antisemitismus gibt es kaum Sensibilisierung gegen Antiziganismus. Dabei bedient sich diese Haltung oft genug derselben Vorurteile. Dass sie Christenkinder stehlen, das hat man früher Juden unterstellt. Und die aktuelle Debatte um die Arbeitnehmerfreizügigkeit für Bulgaren und Rumänen? Das ist doch auch schlecht kaschierter Antiziganismus! Bei Bulgaren und Rumänen dürften nicht wenige an bettelnde Roma denken und tatsächlich sind das die beiden osteuropäischen Länder, in denen am meisten Roma leben.

Das Schreckensbild, das da beschworen wird, ähnelt der Angst vor dem Zuzug verarmter Juden aus dem osteuropäischen Schtetl im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Sie bereitete den Boden für die antisemtische Propaganda der Nationalsozialisten. Es sind die Ressentiments gegenüber armen, benachteiligten Bevölkerungsgruppen, die in wirtschaftlich unstabilen Zeiten besonders gut funktionieren.

Roma werden in Osteuropa seit Ende des Kommunismus zunehmend ausgegrenzt. Das geht soweit, dass um einzelne Roma-Siedlungen Mauern errichtet werden. So etwas ist  offenbar möglich im heutigen Europa, in der EU. Darüber zu reden wäre eigentlich die wichtigere Debatte.

Dieser Kommentar entstand für meine Ausbildung an der Freien Journalistenschule

1 Comment for “Neue Mauern”

skylander

says:

Danke für diesen, sehr richtigen Kommentar. Stigmatisierung der fahrenden Völker, Respektlosigkeit, Projektionen und Ausgrenzung – ein Diskurs zu Sinti und Roma ist überfällig, auf dem Weg von einem Europa der Konzerne zu einem Europa der Menschen.

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